Ich war der erste

Eroberer, den diese Ebene erlebte. Ich unternahm einen Marsch, der 63 Jahre dauerte, und eroberte Dreiviertel der bekannten Welt. Meine größte Eroberung aber war die meiner selbst. Als ich lernte mich selbst zu lieben, und das Leben in seiner Gesamtheit zu umarmen, da bin ich mit dem Wind in die Ewigkeit aufgefahren.

An der Nordostseite des Berges, genannt Indus, bin ich vor den Augen meines Volkes aufgefahren. Mein Volk, das mehr als zwei Millionen Menschen umfaßte, bestand aus einer Mischung von Lemuriern, von Ioniern (den Bewohnern des Landes, das man später Mazedonien nannte) und Stammesvölkern, die aus Atlatia, dem Land, das ihr Atlantis nennt, entkommen waren. Aus meinem Volk stammen die Vorfahren der heutigen Bevölkerung von Indien, Tibet, Nepal und der südlichen Mongolei.

ICH HABE NICHT MEHR ALS EIN LEBEN auf dieser Ebene gelebt, vor 35.000 Jahren nach eurem Zeitverständnis. Ich wurde inmitten Unwissenheit und Verzweiflung in einem unglücklichen Volk geboren. Es waren Pilger aus dem Land, das man Lemuria nannte, und sie lebten in den Slums von Onai, der größten Hafenstadt im südlichen Bereich von Atlatia. Ich kam nach Atlatia während der sogenannten "letzten hundert Jahre" bevor der Kontinent zerbrach und von großen Wassern überflutet wurde.

Atlatia war damals eine Zivilisation von Menschen mit großen intellektuellen Fähigkeiten und überragender wissenschaftlicher Begabung. Ihre Wissenschaft war noch größer als das, was ihr zum jetzigen Zeitpunkt in eurem wissenschaftlichen Bereich kennt, denn die Atlatianer hatten begonnen, die Prinzipien des Lichts zu verstehen und nutzbar zu machen. Sie verstanden sich darauf, Licht in reine Energie umzuwandeln. Sie hatten sogar Flugzeuge, die sich auf Licht fortbewegten, ein Wissen, das ihnen übermittelt wurde durch die gegenseitige Verbindung mit Wesenheiten von anderen Sternensystemen. Obwohl ihre Fahrzeuge sehr primitiv waren, war es nichtsdestoweniger ein leichtes, sie zu Lande und in der Luft fortzubewegen. Weil die Atlatianer sich so intensiv mit Technologien beschäftigten, verehrten sie den Intellekt. Deshalb wurde die technologisch orientierte Wissenschaft zur Religion der Atlatianer.

Die Lemurier waren ganz anders als die Atlatianer. Ihr Gesellschaftssystem basierte auf der Kommunikation durch Gedanken. Sie hatten keine fortgeschrittene Technologie, nur großes, spirituelles Verständnis, denn meine Vorväter waren bedeutend in ihrem Wissen um unsichtbare Werte. Sie verehrten und huldigten dem, was jenseits des Mondes, jenseits der Sterne war. Sie liebten eine Essenz, die man nicht näher beschreiben konnte, eine Macht, die sie den Unbekannten Gott nannten. Weil die Lemurier nur diesen Gott verehrten, wurden sie von den Atlatianern verachtet, denn diese verachteten alles, was nicht "fortschrittlich" war.

Als ich ein kleiner Junge war, war das Leben voller Not und Mühsal. Zu diesem speziellen Zeitpunkt hatte Atlatia bereits seine Technologie verloren, denn seine wissenschaftlichen Zentren im Norden waren schon lange zerstört. Bei ihren Experimenten mit der Fortbewegung auf Licht hatten die Atlatianer ein Loch in die Wolkendecke gestoßen, die euren Planeten völlig umgab, etwa so, wie sie heute die Venus umgibt. Als sie die Stratosphäre durchstießen, fielen große Mengen Wassers, und die Kälte brach herein. In der Folge verschwanden der größte Teil von Lemuria und die nördlichen Teile von Atlatia unter großen Ozeanen. Also flohen die Menschen aus Lemuria und Nordatlatia in die südlichen Regionen von Atlatia.

Sobald die Technologie im Norden verloren war, wurde das Leben im Süden nach und nach primitiver. Während der hundert Jahre, bevor ganz Atlatia untertauchte, war die südlichste Region ein primitives Atlatia, das entartet war bis hin zu der Herrschaft von Tyrannen, die das Volk durch unwiderlegbares Gesetz regierten. Unter der abscheulichen Herrschaft dieser Tyrannen wurden die Lemurier als Abschaum der Menschheit betrachtet, weniger wert als Straßenhunde.

Führt euch einen Moment lang vor Augen, wie es ist, wenn andere auf euch spucken und ihre Notdurft verrichten, und ihr es nur mit euren Tränen wegwaschen dürft. Führt euch vor Augen, wie es ist, wenn ihr wißt, daß die Straßenhunde mehr Nahrung haben als ihr, die ihr euch nach etwas nur irgendwie Eßbarem sehnt, um den fürchterlichen Schmerz in eurem Magen loszuwerden.

In den Straßen von Onai waren die Mißhandlung von Kindern und das Prügeln und die Vergewaltigung von Frauen ein alltäglicher Anblick. Es war alltäglich zu sehen, wie die Atlatianer an einem auf der Straße verhungernden Lemurier vorübergingen und sich ihre Nasen zuhielten mit Halstüchern aus feinstem Linnen, getränkt in Jasmin und Rosenwasser, denn wir wurden für stinkende, scheußliche Dinge gehalten. Wir waren ein Nichts, der seelenlose, geistige Abfall des Intellekts, weil wir kein wissenschaftliches Verständnis von Dingen wie Licht und Gasen hatten. Da wir nun einmal keine intellektuellen Neigungen besaßen, machte man uns zu Sklaven und ließ uns auf den Feldern arbeiten.

So war die Lage, als ich auf dieser Ebene geboren wurde. Das war meine Zeit. In was für einem Traum befand ich mich ? Dem Anfang von des Menschen Ankunft bei der Arroganz und der Dummheit des Intellekts.

ICH MACHTE MEINER MUTTER KEINE VORWÜRFE, daß ich nicht wußte, wer mein Vater war. Ich machte meinem Bruder keine Vorwürfe, daß unsere Väter nicht dieselben waren: Ich machte meiner Mutter auch keinen Vorwurf für die absolute Armut, in der wir lebten. Als kleiner Junge mußte ich mit ansehen, wie man meine Mutter auf die Straße zerrte und ihr die Süße raubte. Nachdem man meine Mutter genommen hatte, sah ich ein Kind in ihrem Bauch heranwachsen, und ich wußte, wessen Kind es war. Und ich sah meine Mutter weinen, denn würde da nicht bald ein weiteres Kind auf der Straße sein und leiden, so wie wir in diesem "gelobten Land" gelitten hatten ?

Da meine Mutter zu schwach war, das Kind allein zu gebären, half ich ihr, meine kleine Schwester zur Welt zu bringen. Ich bettelte in den Straßen um Essen, ich tötete Hunde und wilde Hühner, ich stahl spätabends Getreide, denn ich war sehr flink auf den Beinen. Ich ernährte meine Mutter, und sie wiederum säugte meine kleine Schwester.

Ich machte meiner kleinen Schwester keinen Vorwurf für den Tod meiner geliebten Mutter, doch das kleine Mädchen saugte alle Kraft aus ihr heraus. Meine Schwester bekam Durchfall und konnte das Essen, das sie aufnahm, nicht bei sich behalten; und so verließ das Leben auch ihren Körper.

Ich sammelte Holz und legte meine Mutter und meine Schwester darauf. Dann stahl ich mich in die Nacht, um Feuer zu holen. Ich sprach ein Gebet für meine Mutter und meine Schwester, die ich so sehr liebte. Dann entzündete ich hastig das Holz, damit der beißende Geruch der Körper die Atlatianer nicht stören würde - denn hätte es dies getan, hätten sie ihre Körper in die Wüste geworfen, wo dann Hyänen über sie hergefallen wären und sie in Stücke gerissen hätten.

Als ich meine Mutter und meine Schwester brennen sah, steigerte sich der Haß in mir auf die Atlatianer, bis er wie das Gift einer gefährlichen Viper wurde - und ich war erst ein kleiner Junge !

Während sich Gestank und Rauch des Feuers durch das Tal ausbreiteten, dachte ich über den Unbekannten Gott meines Volkes nach. Ich konnte die Ungerechtigkeit dieses großen Gottes nicht begreifen, oder aus welchem Grund er Ungeheuer erschaffen würde, die mein Volk so haßten. Was hatten meine Mutter und meine Schwester je getan, um diesen elenden Tod, den sie erlitten, zu verdienen ?

Ich machte dem Unbekannten Gott keine Vorwürfe dafür, daß er mich nicht liebte. Ich machte ihm keine Vorwürfe dafür, daß er mein Volk nicht liebte. Ich machte ihm keine Vorwürfe wegen des Todes meiner Mutter und meiner kleinen Schwester. Ich machte ihm keine Vorwürfe - ich haßte ihn !

NIEMAND WAR MIR GEBLIEBEN, denn mein Bruder war von einem Satrapen entführt und in das Land verschleppt worden, das später Persien heißen sollte. Dort wurde er mißbraucht für die Vergnügungen des Satrapen und für dessen Bedürfnisse nach dem, was man Lustbefriedigung nennt.

Ich war ein vierzehnjähriger Junge ohne Fleisch auf den Knochen, aber mit einer großen Bitterkeit in meinem Innern. Also entschloß ich mich, den Kampf mit dem Unbekannten Gott meiner Vorväter aufzunehmen, die einzige Sache, durch die zu sterben ich meiner wert empfand. Ich war entschlossen zu sterben, aber als ehrenhafter Mann; und ich empfand, daß das Sterben durch die Hand eines Menschen eine ehrlose Art sei umzukommen.

Ich sah einen großen Berg, ein sehr geheimnisvoller Ort, der am entfernten Horizont aufragte. Ich dachte, daß, wenn es einen Gott gäbe, er dann dort leben würde, über uns allen, genau wie jene, die unser Land beherrschten, über uns lebten. Wenn ich dort hinaufkletterte, dachte ich, würde ich mit dem Unbekannten Gott Verbindung aufnehmen, und ihm meinen Haß auf ihn wegen seiner Ungerechtigkeit der Menschheit gegenüber verkünden.

Ich verließ meine Hütte und reiste viele Tage, um diesen großen Berg zu erreichen. Ich ernährte mich von Heuschrecken, Ameisen und Wurzeln auf meinem Weg. Als ich den Berg erreichte, kletterte ich hinauf in die Wolken, die jetzt seinen Gipfel umhüllten, um den Kampf mit dem Unbekannten Gott aufzunehmen. Ich rief ihm zu: "Ich bin ein Mensch ! Warum habe ich nicht die Würde eines Menschen ?" Und ich forderte, er solle mir sein Antlitz zeigen ... aber er ignorierte mich.

Ich sank nieder und weinte bitterlich, bis meine Tränen zu Eis wurden. Als ich aufschaute, erblickte ich vor mir etwas, das eine wundersame Frau zu sein schien, die ein großes Schwert in der Hand hielt. Sie sprach zu mir: "O Ram, o Ram, der du gebrochen bist im Geiste, deine Gebete sind gehört worden. Nimm dieses Schwert und erobere dich selbst." Und nur ein Augenzwinkern später war sie verschwunden.

Mich selbst erobern ? Ich konnte nicht die Klinge gegen mich selbst kehren und mir den Kopf abhacken - meine Arme waren zu kurz, um das Heft des Schwertes zu erreichen ! Doch ich fand Ehre in diesem großen Schwert. Ich zitterte nicht mehr in der schneidenden Kälte, sondern fand Wärme statt dessen. Und als ich wieder zu der Stelle sah, wohin meine Tränen gefallen waren, wuchs da eine Blume von solch lieblichem Duft und lieblicher Farbe, daß ich wußte: es war die Blume der Hoffnung.

ICH STIEG HERAB VON DEM BERG mit dem großen Schwert in der Hand, ein Tag, der in der Geschichte des Hinduvolkes dokumentiert wurde als "Der schreckliche Tag des Ram". Ein Junge war auf den Berg gestiegen, aber zurück kehrte ein Mann. Ich war nicht länger körperlich schwach und zerbrechlich ... Ich war ein junger Mann, umgeben von einem schrecklich strahlenden Licht, und mit einem Schwert, das größer war als ich. Manchmal denke ich, daß ich in meiner damaligen Existenz nur sehr langsam begriffen habe, denn ich habe es nie völlig erfaßt, warum das wunderbare Schwert so leicht war, daß ich es tragen konnte, und doch so groß, daß neun Hände zusammen gleichzeitig sein Heft halten konnten.

Ich kehrte von Berg zurück in die Stadt Onai. In den Feldern vor der Stadt sah ich, wie eine alte Frau sich erhob und mit der Hand ihre Augen vor der Sonne schützte, um mir entgegenzusehen. Bald darauf stellten alle ihre Arbeit ein. Karren hielten an. Esel schrien. Alles wurde ruhig. Als die Menschen herbeiliefen, mein Gesicht zu sehen, mußten sie überzeugt gewesen sein, da jeder sein armseliges Werkzeug nahm und mir in die Stadt folgte.

Wir zerstörten Onai, da die Atlatianer mir ins Gesicht spuckten, als ich forderte, daß sie die Kornspeicher öffnen sollten, um meinem Volk zu Essen zu geben. Und sie waren leicht zu überwältigen, denn sie verstanden sich nicht auf Kampf.

Ich öffnete den Kornspeicher für mein armes Volk, dann erschlugen wir die Atlatianer und brannten Onai nieder. Ich erwog nie, ob ich all dies zustande bringen könnte, denn an diesem Punkt war es mir gleich, ob ich lebte oder starb; ich hatte nichts mehr, für das ich hätte leben können.

Als das Abschlachten und Niederbrennen beendet war, spürte ich noch immer einen starken Schmerz in meinem Innern, denn mein Haß war nicht befriedigt worden. So lief ich vor den Menschen davon, um mich in den Bergen zu verstecken, aber sie folgten mir - trotz all meiner Verwünschungen, und trotzdem ich mit Steinen nach ihnen warf und sie anspuckte.

"Ram, Ram, Ram, Ram", riefen sie, ihre Arbeitsgeräte vom Feld und Getreide in Leinentüchern tragend und Schafe und Ziegen vor sich hertreibend. Ich schrie die Menschen an, mich in Ruhe zu lassen und nach Hause zu gehen, aber sie kamen dennoch - denn sie hatten kein Zuhause mehr. Ich war ihr Zuhause !

Da sie darauf bestanden, mir zu folgen, wo auch immer ich hinging, sammelte ich all diese "seelenlosen" Geschöpfe verschiedener Herkunft um mich, und sie wurden meine Armee, mein Volk. Und ein großartiges Volk waren sie in der Tat. Aber Soldaten ? Wohl kaum. Nichtsdestoweniger war dies der Moment, als die große Armee des Ram sich selbst aufstellte. Ihre Zahl belief sich am Anfang auf nahezu zehntausend.

Von da an fühlte ich mich getrieben, Tyrannei niederzuschlagen und meiner Hautfarbe mehr Achtung zu verschaffen. Und aus all den Belagerungen und Schlachten, die wir unternahmen, aus allen Ländern, die wir durchquerten, und all den Menschen, die wir unterwegs befreiten, wuchs meine Armee, Mann für Mann ... und groß wurde die Legende vom Ram und seinem Heer.

IN DEN NÄCHSTEN ZEHN JAHREN war ich ein gehetztes Wesen, ein Barbar, der die Tyrannei der Menschen verabscheute. Ich haßte die Menschen und kämpfte in voller Erwartung des Todes. Anders als viele aus meinem Volk hatte ich keine Angst davor zu sterben - denn ich wollte sterben, ehrenhaft. Somit kannte ich niemals Angst, ich kannte nur den Haß.

Wenn man einen Angriff leitet, und man ist derjenige, der ganz vorne steht, rechts und links niemand, dann muß man wahnsinnig sein. Ein Mensch, der so etwas tut, ist erfüllt von einem machtvollen Gefühl, genannt Haß. Ich bot meinen Feinden eine gute Zielscheibe, sie hätten mich leicht erschlagen können (wenn sie mir doch nur die Ehre erweisen würden). Und ich wählte die wackersten Gegner, in der Hoffnung, sie würden mein Tod sein. Aber, wißt ihr, wenn Furcht fehlt, ist Sieg gegenwärtig. So wurde ich ein großer Eroberer. Vor meiner Zeit hatte es so etwas wie einen Eroberer nicht gegeben, nur Tyrannen.

Ich erschuf den Krieg. Ich war der erste Eroberer, den diese Ebene je kannte. Bis zu meiner Zeit hatte es keine kriegerische Auseinandersetzung gegen die Arroganz der Atlatianer gegeben. Keine. Ich erschuf sie. In meiner Wut und meiner Feindseligkeit und meinem Verlangen danach, edel und ehrenhaft gegenüber meinen Gefühlen zu handeln, wurde ich zu dem, was ihr eine große Wesenheit nennen würdet. Wißt ihr, was ein Held ist ? Nun, ich war in der Tat einer. Der Held rettet Leben und setzt all dem Unrecht im Leben ein Ende, und erkennt doch nicht, daß er mit diesem Handeln ebenso Unrecht erzeugt. Ich hatte das Verlangen, mit allen Formen der Tyrannei den Kampf aufzunehmen - und ich nahm ihn auf, und wurde damit genau zu dem, was ich verabscheute.

Ich war ein Ignorant, ein Dummkopf, ein Barbar, ein Possenreißer. Und zehn Jahre lang bekriegte ich die Unschuldigen und hackte und brannte meinen Weg durch viele Länder - bis ich eines Tages von einem großen Schwert durchbohrt wurde. Hätten sie es in mir stecken lassen, wäre es mir vielleicht noch ganz gut ergangen, aber sie zogen es aus mir heraus, um sicherzugehen, daß ich zu Tode bluten würde. Als ich beobachtete, wie der Strom des Lebens aus mir herausfloß auf einen schneeweißen Marmorboden - der scheinbar makellos war - , sah ich, daß der scharlachrote Fluß darin einen Spalt gefunden hatte.

Als ich dort auf dem kalten Marmorboden lag und beobachtete, wie das Blut aus meinem Körper herausströmte, da erklang eine Stimme. Sie sprach zu mir und sagte: "Steh auf !" Sie sagte: "Steh auf !"

Ich hob meinen Kopf und stütze mich auf die Handflächen. Dann begann ich meine Knie unter meinen Körper zu ziehen. Als ich dann mein Gesicht nach oben gebracht hatte, so daß mein Kopf sich in aufrechter und gerader Position befand, zog ich meinen linken Fuß heran und brachte ihn in eine stabile Stellung. Dann sammelte ich all meine Kraft, legte die Hand auf mein Knie, meine Faust in meine Wunde, ... und ich stand auf.

Wie ich da stand, mit dem Blut aus meinem Mund strömend, durch meine Finger fließend und an meinen Beinen herunterlaufend, flohen meine Angreifer, die sich jetzt sicher waren, daß ich unsterblich war, vor mir davon. Meine Soldaten belagerten die Stadt und brannten sie nieder.

Ich konnte die Stimme nie vergessen, die mich veranlaßte aufzustehen, die mich vor dem Tode bewahrte. In den kommenden Jahren suchte ich, das Gesicht zu dieser Stimme zu finden.

MAN ÜBERGAB MICH DEM FRAUENHOF meines Heeres, und dort sorgte man für mich. Und es war, in der Tat, eine äußerst erniedrigende Erfahrung, denn ich wurde von den Frauen herumkommandiert und vor ihren Augen entkleidet. Ich konnte nicht einmal abgeschieden urinieren oder Kot aus meinem Anus abgeben, sondern mußte es vor ihren Augen tun. Und ich mußte stinkende Umschläge mit Geierfett ertragen, die auf meine Brust gelegt wurden (ich bin davon überzeugt, daß das Geierfett nicht deshalb benutzt wurde, um mich zu heilen, sondern weil es so scheußlich war, daß es, wenn ich es beim Einatmen nur roch, das Leben in mir festhielt).

Im Laufe meiner Genesung mußte ein großer Teil meines Stolzes und meines Hasses dem Kampf ums Überleben Platz machen.

Während ich mich von der entsetzlichen Wunde erholte und nichts anderes tun konnte, begann ich, alles um mich herum zu betrachten. Eines Tages sah ich eine alte Frau diese Ebene verlassen. Sie klammerte sich mit aller Kraft an ein grobes Leintuch, das sie einmal für ihren längst verstorbenen Sohn gemacht hatte. Wie ich die alte Frau im Licht der Mittagssonne dahinwelken sah, öffnete sich ihr Mund zu einem Ausdruck der Verwunderung, und ihre Augen wurden trübe, vom Licht nicht mehr berührt. Nichts bewegte sich außer dem Wind und ihrem greisen Haar.

Ich dachte nach über die Frau und ihren Sohn, die beide gestorben waren, und ich dachte nach über ihre große Weisheit. Dann sah ich wieder empor zur Sonne, die niemals stirbt. Es war dieselbe Sonne, die die alte Frau durch einen Spalt im Dach gesehen hatte, als sie nach ihrer Geburt zum ersten Mal die Augen öffnete ... und es war das letzte, was sie sah, als sie starb.

Wieder schaute ich empor zur Sonne. Wißt ihr, sie nahm keine Notiz vom Tod der alten Frau. Und ich beobachtete die Sonne, als wir die alte Frau unter einer großen Pappel am Fluß begruben.

Als sie an jenem Abend unterging, verfluchte ich sie. Ich sah sie auf dem Kamm der Berge sitzen, wie ein großer, feuriger Edelstein mit scharlachroten Augen. Ich blickte auf die purpurroten Berge und das Tal, schon in Nebel gehüllt, und sah, wie die Strahlen des Sonnenlichts alle Dinge vergoldeten und in unwirklicher Schönheit erstrahlen ließen. Ich sah die Wolken, eben noch in blassem Blau, zu leuchtendem Leben werden in der Färbung von Scharlachrot, Glutrot und Rosa.

Ich beobachtete so lange, wie das große Licht sich hinter die Berge, die jetzt wie scharfe Zähne am Horizont emporragten, zurückzog, bis die letzten Strahlen seiner Schönheit dem Einbruch der Nacht wichen. Über mir rief ein Nachtvogel, und ich sah auf zum Firmament, wo ein blasser Mond am dunkler werdenden Himmel aufstieg. Eine Brise kam auf und wehte mir durchs Haar und trocknete meine Tränen, sie machte mich tief elend im Innern.

Ihr wißt schon, ich war ein großer Krieger. Mit einem Schwert konnte ich einen Mann in nur einem Moment zerspalten. Ich hatte geköpft, zerhackt und niedergemetzelt. Ich hatte Blut gerochen und Menschen verbrannt. Warum tat ich das alles ? Die Sonne ging in jedem Fall in ihrer Pracht unter. Der Vogel rief in jedem Fall in der Nacht. Und der Mond stieg auf, trotz alledem.

Das war der Moment, als ich begann, über den Unbekannten Gott nachzusinnen. Das einzige, was ich wirklich wollte, war, diese unsichtbare Essenz zu verstehen, die so ehrfurchtgebietend, so geheimnisvoll, so weit vom Menschen entfernt schien. Und was war der Mensch ? Was war er ? Warum war er nicht bedeutender als die Sonne ? Warum konnte die alte Frau nicht weiterleben ? Warum schien der Mensch - trotz seiner wimmelnden Vielzahl auf dieser Ebene, er, die schöpferische Kraft - doch das verletzlichste aller Geschöpfe zu sein ? Wenn der Mensch so wichtig war, wie mein Volk mir sagte, warum war er dann nicht wichtig genug, daß bei seinem Tode die Sonne stillstand, um sein Dahinscheiden zu betrauern ? Warum wurde der Mond nicht purpurrot ? Oder warum unterbrach der Vogel nicht seinen Flug ? Der Mensch war sehr unwichtig, so schien es, denn alles ging weiter, auch wenn er in Gefahr war.

Alles, was ich wollte, war zu wissen.

ICH HATTE KEINEN LEHRER, der mich etwas hätte lehren können über den Unbekannten Gott, denn ich vertraute keinem einzigen Menschen. Ich hatte so vieles durchgemacht und verloren durch die Bösartigkeit des Menschen und durch sein engumgrenztes Denken. Ich hatte gesehen, wie der Mensch den Menschen verachtet und für seelenlos hält. Ich hatte gesehen, wie Unschuldige aus Angst abgeschlachtet und verbrannt wurden. Ich hatte Kinder gesehen, nackt an Sklavenpfählen, untersucht von perversen Seelen, die ihnen die ersten Haare der Pubertät auszupften, damit sie später bei der Vergewaltigung noch wie junge Kinder aussähen. Ich hatte gesehen, wie Priester und Propheten aus Haß auf die Menschheit peinbringende und häßliche Kreaturen erfanden, um so durch die Vorschrift von religiösen Zeremonien Menschen beherrschen und versklaven zu können.

Es gab keinen lebenden Menschen, den ich als Lehrer hätte haben wollen, denn jedem lebenden Menschen war engumgrenztes Denken zu eigen - jeder hatte das genommen, was in Wahrheit rein und unschuldig war, und es dann durch sein eigenes, begrenztes Verständnis abgewandelt. Also wollte ich nichts zu tun haben mit einem Gott, der aus menschlichem Verständnis heraus geschaffen worden war, denn wenn der Mensch den Gott geschaffen hatte, mußte dieser Gott fehlbar sein.

Die Elemente des Lebens, die wahrhaftigsten Lehrer von allen, waren es, die mich über den Unbekannten Gott lehrten. Ich lernte von den Tagen. Ich lernte von den Nächten. Ich lernte von dem zarten unauffälligen Leben, das sogar im Angesicht von Zerstörung und Krieg noch im Überfluß vorhanden war.

Ich dachte nach über das glorreiche Erscheinen der Sonne am Horizont. Ich verfolgte ihre Reise übers Himmelszelt, bis sie im Westen niederging und sich zum Schlafen begab. Ich lernte, daß die Sonne, obwohl selbst stumm, auf subtile Weise das Leben kontrollierte; denn all jene, die mutig und tapfer waren und miteinander Krieg führten, stellten ihre Kämpfe ein, wenn die Sonne unterging.

Ich beobachtete die Schönheit des Mondes in seinem blassen Licht, als er über das Himmelsgewölbe tanzte und die Dunkelheit geheimnisvoll und wunderbar erhellte. Ich sah die Feuer unseres Heerlagers und wie sie den Abendhimmel erleuchteten. Ich lauschte den Wildvögeln, die auf dem Wasser landeten, lauschte den Vögeln, die nachts in ihren Nestern raschelten, und Kindern und ihrem Lachen. Ich beobachtete Sternschnuppen, Nachtigallen, den Rauhreif im Schilf, den See mit Eissplittern überzogen, um so die Illusion einer anderen Welt zu schaffen. Ich sah, wie sich die Blätter der Olivenbäume von Smaragdgrün in Silber verwandelten, als der Wind durch sie hindurchwehte. Ich beobachtete Frauen, die im Fluß stehend Wasser in ihre Krüge schöpften, ihre Kleider in Knoten hochgebunden, so daß sie ihre Alabasterknie enthüllten. Ich hörte dem Stimmengewirr vom Klatsch der Frauen zu und dem neckenden Ton in ihrem Lachen. Ich roch den Rauch weit entfernter Feuer und den Knoblauch und den Wein im Atem meiner Männer.

Erst als ich das Leben und sein ständiges Weiterfließen beobachtete und darüber nachsann, entdeckte ich, wer der Unbekannte Gott in Wahrheit war. Ich kam zu der Schlußfolgerung, daß der Unbekannte Gott nicht derselbe war wie die Götter, die durch das engumgrenzte Denken der Menschen geschaffen worden waren. Ich erkannte, daß die Götter in der Vorstellungswelt der Menschen lediglich Personifikationen der Dinge sind, die sie am meisten fürchten oder respektierten; daß der wahre Gott die immerwährende Essenz ist, die es dem Menschen erlaubt, sich Illusionen zu erschaffen und sie spielerisch auszuprobieren, ganz wie es ihm beliebt, und die auch dann noch da sein wird, wenn der Mensch wieder zurückkehrt zu einem neuen Frühling, einem anderen Leben. Ich erkannte, daß die Macht und das fortwährende Bestehen der Lebenskraft das ist, worin der Unbekannte Gott in Wahrheit liegt.

Wer war der Unbekannte Gott ? Ich war es ... und die Vögel in ihrem nächtlichen Nest, der Rauhreif im Schilf, die Morgendämmerung und der Abendhimmel. Die Sonne und der Mond waren es, Kinder und ihr Lachen, alabasterne Knie und fließendes Wasser, und der Geruch von Knoblauch und Leder und Messing. Ich brauchte lange, dieses Verständnis zu erlangen, obwohl es die ganze Zeit dagewesen war, direkt vor meinen Augen. Der Unbekannte Gott war nicht jenseits des Mondes oder jenseits der Sonne - er umgab mich auf allen Seiten ! Mit dieser Neugeburt von klarer Einsicht begann ich das Leben zu umarmen, es lieb und wert zu halten, und einen Grund zu finden, um zu leben. Ich erkannte, daß es mehr gab als Blut und Tod und den Gestank des Krieges; es gab das LEBEN - viel herrlicher, als wir es je zu sein erkannt hatten. Infolge dieser Erkenntnis sollte ich in den kommenden Jahren verstehen, daß der Mensch wirklich das größte aller Dinge ist; und daß der einzige Grund dafür, daß die Sonne weiterbesteht, während der Mensch stirbt, darin liegt, daß die Sonne niemals auch nur einen Gedanken an den Tod verliert. Alles, was sie versteht, ist ... zu sein.

ALS ICH DURCH KONTEMPLATIVES DENKEN ERKANNTE, wer der Unbekannte Gott ist, und was er ist, da wollte ich nicht dahinwelken und sterben wie die alte Frau. Es muß einen Weg geben, dachte ich, um so weiterzubestehen wie die Sonne.

Sobald ich von meiner furchtbaren Wunde geheilt war, blieb mir wenig zu tun, außer auf einem Plateau zu sitzen und zuzusehen, wie mein Heer fett und träge wurde. Eines Tages, als ich zum Horizont blickte, um die verschwommenen Umrisse geisterhafter Berge und Täler zu betrachten, die noch auf keiner Karte verzeichnet waren, fragte ich mich, wie es wohl sei, der Unbekannte Gott zu sein, die Lebenskraft. Wie konnte ich Teil dieser immerwährenden Essenz sein ?

In diesem Moment spielte mir der Wind einen Streich und beleidigte mich auf unfaßbare Weise. Er blies meinen Umhang, der lang und königlich war, nach oben und ließ ihn dann auf meinem Kopf niedersausen. Eine äußerst peinlich Sache ! Keine sehr würdevolle Situation für einen Eroberer. Als nächstes erzeugte der Wind eine wundervolle Wolke aus safranfarbenem Staub, um sie dann neben mir zu einer Säule zu formen, hoch hinauf bis in den Himmel. Dann, als ich gerade nicht genügend aufpaßte, hörte der Wind auf, so daß der ganze Staub auf mich herabfiel.

Daraufhin zog der Wind pfeifend durch die Schlucht, hinunter zum Fluß und weiter durch die wunderbaren Olivenhaine, wo er die Blätter von Smaragdgrün in Silber verwandelte. Und er ergriff den Rock eines schönen Mädchens und ließ ihn um ihre Hüften flattern - das gab ein Gekicher. Dann blies er den Hut vom Kopf eines kleinen Kindes, und freudig lachend rannte das Kind diesem nach. Ich forderte, der Wind solle zu mir zurückkommen, doch er lachte nur, während er durch die Schlucht tobte. Dann, als ich schon blau im Gesicht war vom Befehleschreien, ließ ich mich zurücksinken und setzte mich nieder ... und da kam er und blies mir ins Gesicht, sanft. Das ist Freiheit !

Während es keinen Menschen gab, den ich als mein Ideal hätte haben wollen, führte mir der Wind es selbst vor, für mich in hohem Maße ein Ideal zu sein. Man kann den Wind nicht sehen, doch wenn er in seiner Wildheit über einen kommt, wird man umgeworfen. Ganz gleich wie großartig und mächtig jemand ist, dem Wind kann er nicht den Krieg erklären. Was kann man ihm anhaben ? Ihn mit dem Schwert zerspalten ? Mit der Axt entzweihacken ? Ihn bespucken ? Er schleudert es einem höchstens zurück ins Gesicht.

Was sonst könnte der Mensch sein, dachte ich mir, daß ihm solch freie Bewegung, solche Macht gegeben würde; was sonst könnte durch das begrenzte Wesen des Menschen nie in Fesseln gelegt werden; was sonst würde es ihm ermöglichen, an allen Orten gleichzeitig zu sein, und was sonst würde, ungleich dem Menschen, niemals sterben ?

Der Wind war für mich eine fundamentale Essenz, denn er ist immerwährend, frei in seinen Bewegungen und alles durchdringend; er hat keine Grenzen und keine Form; er ist magisch, voller Forscherdrang und Abenteuerlust. Und dies ist, in der Tat, die größte Ähnlichkeit, die es zu der Gott-Essenz des Lebens gibt. Der Wind urteilt nie über den Menschen. Der Wind läßt den Menschen nie im Stich. Wenn ihr den Wind ruft, wird er durch die Liebe zu euch kommen. So sollten Ideale sein.

Also wollte ich zum Wind werden. Viele, viele Jahre dachte ich darüber nach. Er wurde mein Ideal. Das war es, was ich werden wollte. So zu werden, dahin drängten all meine Gedanken. Ich dachte über den Wind nach und stimmte mich ein auf seine Sprunghaftigkeit, seine Leichtigkeit und seine Konturen, die unbestimmbar sind. Und da ich den Wind betrachtete, war es der Wind zu dem ich wurde.

DAS ERSTE MAL GESCHAH ES etwa sechs Jahre, nachdem ich vom Schwert durchbohrt worden war. Jeden Abend ging ich los und setzte mich auf mein einsames Plateau, starrte empor zum Mond in seiner sanften Blässe, und sann über den Wind nach. Und dann kam der Augenblick, in dem ich mich zu meiner großen Überraschung plötzlich oben im Himmel wiederfand und nicht mehr wußte, wer ich war, als ich mich umwandte, um nach unten zu blicken.

In nur einem Augenblick erfaßte ich, daß ich weit entfernt war von dem winzigen Fleck meines Körpers dort unten auf dem Hügel. Als ich hinunterblickte auf meine körperliche Hülle, verspürte ich das erste Mal seit meiner Verwunderung Angst. Und diese Angst war es, die mich wieder zurück in meinen Körper brachte.

Ich öffnete meine Augen, und mir brach kalter Schweiß aus bei der Erkenntnis, daß ich an einem anderen Ort gewesen war, außerhalb des Käfigs meiner körperlichen Hülle. Ich fühlte mich wie im Paradies, denn ich war sicher, daß ich der Wind geworden war. Ich warf mich nieder und pries Gott - die QUELLE, die MACHT, den URGRUND, den WIND. Ich würde niemals diesen herrlichen Moment, in dem ich die Grazie, die Schönheit und das überschäumende Leben des Windes wurde, vergessen. Und ich kam zu der Schlußfolgerung, daß das, was es mir erlaubte, der Wind zu werden, meine vollständige Entschlossenheit war, mein Ideal zu werden; und daß ich die Vision von dem, was ich werden wollte, ganz klar im Gedanken festgehalten hatte.

Am nächsten Abend ging ich zu meinem Platz jenes einsamen Geschehens zurück, betrachtete voll überströmender Freude den Wind und wurde ... gar nichts. Ich versuchte es wieder und wieder. Ich wußte, daß ich mir die Erfahrung nicht nur eingebildet hatte. Ich hatte eine andere Perspektive erlebt. Ich war oben in der Luft gewesen wie eine Taube oder ein Falke und hatte mein mitleiderregendes Selbst unter mir gesehen.

Nichts wollte ich, nichts ersehnte ich mir, nichts - außer dem einen Gedanken: zu dieser Freiheit zu werden. Aber ganz gleich, wie sehr ich mich anstrengte, wieviel Schweiß aus meinem Körper hervorbrach (und wieviel ich daraufhin auch fluchte), ich bewegte mich kein Stück von der Stelle. Ich blieb und fühlte mich viel schwerer als vorher, denn jetzt war mir bewußt geworden, wie schwer ich eigentlich war. Trotzdem verlor ich mein Ideal nie aus dem Auge. Und vergaß nie das Gefühl jenes Augenblicks, in dem ich zum ersten Mal auf meinen armseligen Körper herabgeschaut hatte.

LANGE ZEIT SOLLTE VERGEHEN, bis ich wieder der Wind wurde - zwei Jahre nach eurem Zeitverständnis. Diesmal geschah es nicht, während ich den Wind betrachtete, sondern beim Übergang in einen ruhevollen Schlaf. Ich hatte die Quelle gepriesen, die Sonne, den Safranstaub, den Mond, die Sterne, den süßen Duft des Jasmins - sie alle hatte ich gepriesen ! Und kaum hatte ich die Augen geschlossen, da war ich droben im Himmel, wieder als der Wind !

Als ich die Fähigkeit, meinen Körper zu verlassen, vervollkommnet hatte, brauchte ich wieder lange Zeit, um herauszufinden, wie ich zu anderen Orten gelangen konnte. Dann geschah es eines Tages, daß einer meiner Männer in eine äußerst gefährliche Lage geriet. Er stürzte vom Pferd und verhakte sich dabei mit dem Fuß im Steigbügel. In dem Moment, in dem mein Gedanke auf ihn gerichtet war, war ich bei ihm, und ich befreite seine Ferse. Ich stand über ihm und wünschte ihm alles Gute, doch er dachte, ich sei ein Traum.

Viele Jahre lang unternahm ich Gedankenreisen hinein in andere Königreiche und zu anderen Wesenheiten. Ich besuchte Zivilisationen in der Entstehung ihrer Zukunft, und bisher ungesehene Lebensformen. Ich lernte es, innerhalb von Augenblicken zu reisen, denn ich lernte: wo immer der Gedanke ist, dort ist auch die Wesenheit. Und wie habe ich daraufhin erobert ? Ich war ein furchterregender Gegner, denn ich konnte die Gedanken meiner Feinde lesen; auf diese Weise habe ich sie alle überlistet ! Nicht mehr ich stürzte Königreiche; ich ließ sie sich selber stürzen.

Langsam, über viele Jahre hinweg, als der Gedanke, mein Ideal zu werden, zu der grundlegenden Lebenskraft in den Zellen meines Körpers wurde, veränderte meine Seele allmählich die Programmierung in jeder Zellstruktur, um die in ihr liegende Schwingungsfrequenz zu erhöhen. So stark war mein Sehnen !

Je mehr ich Frieden mit dem Leben schloß, desto mehr durchzog dieses Gefühl meine ganze physische Struktur, bis ich leichter und leichter und leichter wurde. Menschen schauten mich an und sagten: "Seht nur, da ist ein Leuchten um unseren Meister." Und es war tatsächlich da ! Denn mein Körper vibrierte in einer höheren Frequenz - von der Frequenz der Materie übergehend in die Frequenz des Lichts; deshalb ging dieses Leuchten von mir aus.

Mit der Zeit wurde mein Körper im Licht des Mondes immer durchsichtiger. Dann, eines Nachts, wurde ich das, was der Mond ist ! Ich reiste nicht mehr nur in Gedanken; ich hatte meine Körperfrequenz in das Licht hinein erhoben und meine gesamte körperliche Hülle mit mir genommen. Ich war voll Freude und Jubel, denn das, was ich getan hatte, war etwas nie Gehörtes ! Doch ich kam zurück - aber nur um zu sehen, ob ich dasselbe noch einmal tun könnte. Und ich tat es - wieder und wieder und wieder, dreiundsechzig Mal, bevor ich endgültig auffuhr. Es wurde für mich so natürlich, wie es für euch das Atmen ist.

ALS ICH DER WIND WURDE, erkannte ich, wie wahrhaft begrenzt ich gewesen war, und wie frei die Elemente waren, denn ich wurde zu dem höchsten Grad einer sich bewegenden Kraft, die nie gezähmt werden kann, zu einer wilden Bewegung, die frei ist - frei von Gewicht, frei von Maß, frei von Zeit. Ich wurde eine unsichtbare Kraft, die keine Form hat, die pulsierendes Licht ist, unteilbar. So konnte ich mich frei bewegen - durch Täler und Schluchten und Felsspalten, durch Berge und Meere und Lüfte. Und niemand konnte mich sehen. Wie der Wind hatte ich die Macht, smaragdgrüne Blätter silbern werden zu lassen, festverwurzelte Bäume zu erschüttern, hineinzufließen in die Lungen eines Säuglings oder in den Mund eines liebenden Menschen und dann zurück zu den Wolken um sie beiseite zu schieben.

Als ich der Wind wurde, erkannte ich, wie klein und hilflos der Mensch in seiner Unkenntnis über sich selbst ... und wie groß er wird, wenn er sich selbst erweitert hinein in das Wissen. Ich lernte, daß der Mensch genau das wird, was er beabsichtigt zu werden. Wenn der Mensch sich lange genug sagt, daß er armselig und machtlos ist, dann wird er auch armselig und machtlos werden. Wenn er sich den Herrn des Windes nennt, dann wird er der Herr des Windes werden, so wie ich der Herr des Windes wurde. Und wenn er sich Gott nennt, wird er Gott werden.

Sobald ich diese Erkenntnisse gewonnen hatte, begann ich, meine geliebten Brüder über den Unbekannten Gott, die Quelle allen Lebens, zu lehren. Und dann kam ein Tag, als ich ein alter Mann war, als alles, was ich in meinem Dasein hatte vollbringen wollen, vollbracht war. Ich unternahm eine Reise auf die andere Seite des Flusses Indus; und dort, am Fuße des Berges Indus, sprach ich zu meinem gesamten Volk, hundertzwanzig Tage lang. Ich drängte sie zu erkennen, daß diese Lehren, in der Tat, Wahrheiten waren; daß die Quelle ihrer göttlichen Führung nicht aus mir oder aus irgendeinem anderen Menschen entsprang, sondern aus dem Gott, der uns alle geschaffen hatte. Damit sie sich überzeugen konnten - und zu ihrer großen Überraschung - erhob ich mich recht schön über ihnen.

Frauen schrien und erstarrten vor Schreck. Soldaten ließen in staunender Verwunderung die Schwerter sinken. Ich entbot ihnen allen meinen Abschiedsgruß und drängte sie zu lernen, wie auch ich gelernt hatte, und zu "werden", wie auch ich "geworden" war ... jeder auf seine eigene Weise.

IN DER KONTEMPLATION DER ELEMENTE DES LEBENS, die mir kraftvoller erschienen als der Mensch, der Elemente, die mir weiser erschienen als der Mensch, die in friedlicher Koexistenz neben dem Menschen und trotz des Menschen leben, in der Kontemplation all dessen entdeckte ich den Unbekannten Gott.

Wenn ihr die Menschen fragt: "Wie soll ich aussehen ?" "Woran soll ich glauben ?" oder "Wie soll ich leben ?" - wenn ihr das tut, werdet ihr sterben. Dies ist eine Wahrheit. Geht und fragt den Wind: "Gib mir Wissen, Wind. Öffne mich, und laß mich wissen", dann wird er euch von Grün zu Silber verwandeln, euch mitnehmen in die Tiefe der Schluchten und mit euch lachen, lauthals und frei.

Mir geschah das höchste Glück dadurch, daß die Elemente des Lebens meine Lehrer waren. Die Sonne hat mich nie verflucht, der Mond hat nie gesagt, so und nicht anders müßte ich sein. Nie gaben die Elemente mir den Eindruck, ich hätte versagt. Frost und Tau, der Geruch des Grases, die Insekten, die kreuz und quer wandern und fliegen, der Schrei des Nachtfalken, sie alle kennen das Versagen nicht, ihr inneres Wesen ist einfach. Und etwas Wundervolles an ihnen: In ihrer Einfachheit und Beständigkeit verlangten sie nichts von mir. Die Sonne schaute nicht herab und sagte: "Wenn du mich kennen willst, mußt du mich verehren." Der Mond schaute nicht herab und sagte: "Wach auf ! Es ist Zeit, meine Schönheit zu bewundern !" Sie waren da, wann immer ich ihnen den Blick zuwandte.

Ich lernte von etwas Beständigem, von etwas, das nicht urteilt und das leicht zu verstehen ist, wenn der Mensch seinen Geist dafür öffnet. Deshalb befand ich mich nicht in der Gewalt des engumgrenzten Denkens des Menschen - mit seiner Heuchelei, seinem Dogma, seinem Aberglauben und seinen vielartigen Göttern, die man zu besänftigen suchen muß. Darum war es mir ein leichtes, innerhalb von einem Lebenszyklus auf dieser Ebene zu lernen, was die meisten erst noch zu lernen haben - denn sie suchen Gott in der Deutung durch andere Menschen. Sie suchen Gott in der Herrschaft ihrer Regierungen, in der Herrschaft der Kirche, in einer Historie, an die sie zuerst die Frage richten sollten, wer sie geschrieben hat, und warum sie geschrieben wurde. Der Mensch hat seine Glaubenssätze, seine Ansichten, seine Gedankenprozesse, sein Leben auf etwas gegründet, das sich Leben für Leben für Leben als Fehlschlag erwiesen hat. Dennoch, über sein eigenes engumgrenztes Denken stolpernd, gefesselt durch seine eigene Überheblichkeit, fährt der Mensch mit seiner beharrlichen Heuchelei fort, die nur zum Tode führt.

ERST NACHDEM ICH AUFGEFAHREN WAR, wußte ich alles, was ich wissen wollte, denn ich löste mich aus der Dichte des Fleisches und ging über in das Fließen des Gedankens, und damit konnte mich nichts mehr behindern. Da wußte ich, daß der Mensch in seiner Essenz wahrhaftig Gott ist. Bevor ich aufgefahren war, hatte ich nicht gewußt, daß es so etwas wie die Seele gibt, und ebensowenig verstand ich die Mechanik des körperlichen Auffahrens. Ich wußte nur, daß ich im Frieden war mit dem, was ich getan hatte, und im Frieden mit dem Leben. Ich umarmte das Leben und das Wundervolle, das ich am Himmel sah, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Das war mein Leben.

Ich lernte, mich selbst zu lieben, indem ich mich mit der Kraft und Majestät des Windes identifizierte. Mein Leben wurde erfüllt, als ich all mein Verstehen ergriff und es auf mich selbst konzentrierte. Damit kam der Frieden. Damit begann ich, mehr zu wissen. Damit wurde ich eins mit dem Unbekannten Gott.

Ich wurde nicht der Wind, sondern das Ideal, das er für mich repräsentierte. Jetzt bin ich der Herr über den Wind, denn ich wurde zu dem unsichtbaren Prinzip, das frei ist, allgegenwärtig und eins mit allem Leben. Als ich zu diesem Prinzip wurde, verstand ich den Unbekannten Gott und alles, was er ist - und alles, was er nicht ist - denn das war es, was ich verstehen wollte. In mir fand ich die Antworten, die es mir erlaubten, mich in ein größeres Verständnis hinein zu erweitern.

Ich war Ram der Eroberer. Ich bin jetzt Ram der Gott. Ich war ein Barbar, der Gott geworden ist durch die einfachsten und dennoch tiefgründigsten aller Dinge. Was ich euch lehre, ist das, was ich gelernt habe.

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